Wenn mich im Kärntner Drautal nicht so viele Menschen verachten und hassen würden, hätte ich mir längst schon den Garaus gemacht, aber denen den Gefallen tun? Nur über meine Leiche! Nein, es bleibt dabei, die Lebenden sollen doch nicht von den Toten auferstehen, denn bei den Toten bin ich gerne, sie tun mir nichts und sind auch Menschen.“ Der Tod und die Todesrituale sind eine Konstante im Werk von Josef Winkler. Sein 1980 erschienenes zweites Buch heißt „Der Ackermann aus Kärnten“, es folgen „Friedhof der bitteren Orangen“, „Natura Morta“, „Leichnam, seine Familie belauernd“ …
Der Tod und der Schmerz, die Sünde und die Strafe, der Freitod und ein allgegenwärtiger gewalttätiger Katholizismus, wie ihn Josef Winkler in seiner Kindheit in dem kleinen Ort Kamernig, auf der „Schattseite“ des Drautals gelegen, erlebt und erlitten hat – diese Elemente durchziehen den Film, dessen Drehbuch der Salzburger Regisseur Michael Pfeifenberger auf Grundlage der Texte Josef Winklers schrieb, und in enger Zusammenarbeit mit dem Autor. Bei den Dreharbeiten entstanden auch spontan viele Szenen, zu denen dann Winkler im nachhinein die Texte verfasste.
„Eigentlich ist es ein Filmessay über Josef Winkler, und dessen Thema ist nun einmal hauptsächlich der Tod“, sagt Michael Pfeifenberger, „und so erhob sich für mich die Frage, wo finde ich adäquate Bilder für die Literatur von Josef Winkler. Ich habe die Todesriten von Mexiko, Indien und Kärnten gegenübergestellt und dabei bildhafte Parallelen entdeckt.“ Die drei Kontinente, in denen der Film spielt, sind von der Zeit her etwa zu gleichen Teilen präsent, doch sind sie nicht nebeneinandergestellt, sondern werden immer wieder miteinander verwoben. Auf Bilder von einem „Gottesacker“ in Kärnten folgt eine Szene von Mariachi-Musikern auf einem mexikanischen Friedhof, montiert mit Begräbnisriten im indischen Varanasi. Ein verwobenes Bild über den Tod.
Das episodische Filmporträt beginnt mit einer Szene in einem kleinen Dorfkino in Kärnten: Winnetou stirbt in den Armen Old Shatterhands. Im Publikum Josef Winkler als Kind, gespielt von seinem Sohn Kasimir. Dann entsteigt der „Leinwandgeher“ der Leinwand, und es beginnt eine rasende Reise, mit bewegten Bildern und einer radikalen Bilderwelt, quer durch die Welt der Kruzifixe, der Grabsteine, Verbrennungsanlagen, Misthäufen und Knochenmühlen.
„Wir folgen Winklers literarischem Weg, der ihn nach Indien führt, und er nimmt dabei immer sein Trauma mit, seine harte Kindheit, die hat er immer dabei“, erklärt Regisseur Pfeifenberger. Der Autor war schon oft in Indien, in Varanasi, wo seine Frau ihre Kindheit verbracht hat, und hat dort drei Bücher geschrieben. In Indien bricht die Bildgewalt des Katholizismus in Winkler besonders stark aus.
Auch in Mexiko fand Josef Winkler viel Vertrautes. Vielleicht ähnelt sein Verhältnis zum „Kahlköpfigen“, wie der Tod dort oft genannt wird, dem des mexikanischen Literaturnobelpreisträgers Octavio Paz: „Der Mexikaner versteckt sich nicht vor dem Tod noch verheimlicht er ihn, sondern sieht ihm mit Geduld, Verachtung oder Ironie frei ins Gesicht.“
Die Hauptdarstellerin des mexikanischen Teils, die zapotekische Sängerin Martha Toledo, ist in Österreich bereits von ihrer Tournee im Jahr 2006 (s. SWM 10/05) bekannt. Sie wird zur Premiere nach Wien kommen und hier wieder singen.
Der „Kinoleinwandgeher“ wird nach seiner Premiere in Wien auf zahlreichen Festivals in aller Welt gezeigt, in Mexiko-Stadt und Monterrey sowie in anderen lateinamerikanischen Ländern, in Indien in Kolkata, wo es ein wichtiges Filmfestival gibt, in Pakistan und Hongkong und weiteren Staaten.
Michael Pfeifenberger (u.a. „011 Beograd“, „Leila & Lena“) hat parallel zum Winkler-Essay auch den Film „Todespolka“ gedreht: eine Science Fiction über Österreich kurz nach dem Machtantritt der Bürgerpartei. Österreich ist aus der EU ausgetreten, der Schilling wieder eingeführt; Law and Order beherrschen das Land, Hass und Intoleranz werden gesät. Ausschlaggebend für diese erschreckende Groteske war der letztjährige Wahlkampf des rechten Randes, der allerdings längst schon kein Rand mehr ist. Auch dieser Film wird in Kürze uraufgeführt.
Zum „Kinoleindwandgeher“ ist ein gleichnamiges Buch von Josef Winkler in der Bibliothek der Provinz erschienen.
Die Weltpremiere des Films erfolgt Ende Februar/Anfang März in Wien.
Das genaue Datum und weitere Infos siehe
www.kinoleinwandgeher.at